"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Freitag, 24. August 2012

"Yours for the revolution - may it come swiftly, like a shaft sundering the dark"*

Ich weiß nicht so recht, was ich von der aktuellen Mode halten soll, historische Figuren in Fantasyhelden zu verwandeln. Vielleicht können solche Geschichten beim Lesepublikum die Lust wecken, sich auch einmal mit den realen Vorbildern zu beschäftigen. Zugegeben, die Chance ist wahrscheinlich eher gering. Wieviele von denen, die Abraham Lincoln Vampire Hunter genossen haben, wollten danach wissen, wie es sich tatsächlich mit Ole Abe und dem Amerikanischen Bürgerkrieg verhalten hat? Aber ich würde die Möglichkeit nicht von vornherein ausschließen. Vorausgesetzt, die Geschichte ist gut gemacht und geht im Kern von der realen historischen Persönlichkeit aus; verfremdet sie, aber verfälscht sie nicht.
Und damit komme ich zu dem kurzen Artikel, den Michael Penkas in Black Gate über den Comic Helen Killer von Andrew Kreisberg & Matthew JLD Rice geschrieben hat. Er beginnt mit einem Porträt der historischen Helen Keller:
"Contracting an illness (possibly scarlet fever or meningitis) at the age of nineteen months, Helen Adams Keller survived, but was left both deaf and blind. Keller’s parents would eventually contact Anne Sullivan, herself blind, to tutor their daughter (who, at the age of six, still had not grasped the concept of words representing things).  By pressing her hand into the girl’s palm, Sullivan was able to teach the girl to read sign language through touch.  After that breakthrough, Helen Keller went on to write twelve books, meet thirteen U.S. Presidents, help found the American Civil Liberties Union, and introduce the Akita breed of dog to the United States. Wow."
Persönlichkeit und Lebensgeschichte von Helen Keller (1880-1968) sind in der Tat mehr als beeindruckend, und nichts von dem, was Penkas schreibt, ist falsch. Ärgerlich ist bloß, was er nicht geschrieben hat. Keller war nämlich nicht bloß eine Kämpferin für demokratische Rechte, sondern bekannte sich ab 1909 offen zum Sozialismus, was ihr viel Hass und Spott seitens der bürgerlichen Presse einbrachte, die sie zuvor mit großer Sympathie bedacht hatte. Sie trat der Sozialistischen Partei bei, die sich zu dieser Zeit in mächtigem Aufschwung befand, und unterstützte mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln deren Präsidentschaftskandidaten Eugene V. Debs. Die Enttäuschung über den rasch wachsenden Opportunismus in der Partei und das Beispiel des großen Textilarbeiterstreiks von Lawrence/Massachusetts im Jahre 1912 führte sie zusammen mit den besten Vertretern & Vertreterinnen der Arbeiterbewegung der USA zu den revolutionär-syndikalistischen Industrial Workers of the World (IWW). Ab 1916 kämpfte sie mit aller Energie gegen den sich abzeichnenden Eintritt der Vereinigten Staaten in den 1. Weltkrieg und auch der bald ausbrechende staatliche und halbstaatliche Terror gegen alle 'Roten' machte sie nicht schwankend in ihrer Solidarität mit den 'Wobblies' und Eugene Debs. Sie glaubte fest daran, dass dem Krieg alsbald die Weltrevolution folgen werde: "The mighty mass movement of which they [die 'Wobblies'] are a part is discernible all over the world. Under the fire of the great guns, the workers of all lands, becoming conscious of their class, are preparing to take possession of their own. [...] Workingmen everywhere are becoming aware that they are being exploited for the benefit of others, and that they cannot be truly free unless they own themselves and their labor. The achievement of such economic freedom stands in prospect -- and at no distant date -- as the revolutionary climax of the age." In den 20er Jahren verlor sie zwar nach und nach den unmittelbaren Kontakt zur Arbeiterbewegung, aber noch 1929 erklärte sie sich unmissverständlich für das Recht der Unterdrückten zur Revolution: "I am perfectly sure that love will bring everything right in the end, but I cannot help sympathizing with the oppressed who feel driven to use force to gain the rights that belong to them. That is one reason why I have turned with such interest toward the great experiment now being tried in Russia. No revolution was ever a sudden outbreak of lawlessness and wreckage incited by an unholy brood of cranks, anarchists and pedagogues. People turn to a revolution only when every other dream has faded into the dimness of sorrow. When we look upon these mighty disturbances which seem to leap so suddenly out of the troubled depths we find that they were fed by little streams of discontent and oppression. These little streams which have their source deep down in the miseries of the common people all flow together at last in a retributive flood." Ihre Sympathien für die radikale Linke blieben auch späterhin erhalten.
Was soll man angesichts dieser Lebensgeschichte von einem Comic halten, der Helen Keller nicht nur zu einer Steampunk-Heldin macht, die beständig mit Mordgelüsten zu ringen hat, sondern auch zu einer US-Agentin, die Präsident McKinley vor der Ermordung durch einen Anarchisten bewahren soll?
Ob bewusst oder unbewusst reiht sich Kreisberg damit in die Reihe jener Geschichtsklitterer ein, die alles daran setzen, um die Erinnerung an die revolutionären und sozialistischen Taditionen zu zerstören, welche auch die Arbeiterklasse der Vereinigten Staaten besitzt. Ähnlich wie z.B. die Organisatoren des geplanten Woody Guthrie - Museums in Tulsa/Oklahoma, die offenbar beabsichtigen, die kommunistischen Überzeugungen des berühmten Folk-Sängers diskret unter den Teppich zu kehren.

PS.: Kreisbergs Keller ist wie gesagt eine US-Agentin. Wer sich für die Akte interessiert, die das FBI Mitte der 50er Jahre über die reale Helen Keller angelegt hat, findet diese hier

* Helen Keller in einem Brief an den inhaftierten Sozialistenführer Eugene V. Debs.

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